Die moderne Personalberatung
Im Jahr 2019 arbeiteten laut Statista in rund 2.000 Personalberatungsunternehmen in Deutschland etwa 7.600 Personalberater*innen. Die Methoden und die Größe der Beratungen sind dabei sehr unterschiedlich. Fakt ist, die Personalberatungen haben sich in den vergangenen zehn Jahren erheblich verändert, weil sich auch der Arbeitsmarkt aufgrund des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels massiv verändert hat. Annette Wodzak-Littig erläutert, was eine moderne Personalberatung ausmacht.
Lesen Sie in diesem Artikel:
- Personalberatungen unterstützen
- Know-how in Marketing und Kommunikation erforderlich
- Psychologie und Personaldiagnostik entscheidend
Vom „schwarzen Notizbuch“ zur modernen Bewerberdatenbank
Wie hat sich das Personalberater-Business in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Annette: In der Vergangenheit war es so, dass Personalberater*innen mehrheitlich nur in bestimmten Branchen gut aufgestellt waren und in diesen über eigene Kontakte verfügten. In der Regel waren sie selbst über viele Jahre in einer dieser Branchen tätig. So konnten sie sich ein persönliches Netzwerk aufbauen und über die eigenen Kontakte ein „schwarzes Notizbuch“ anlegen. Diesen Begriff gibt es tatsächlich unter Personalberater*innen. Mithilfe dieses „schwarzen Notizbuchs“ wurden potenzielle Kandidat*innen identifiziert und an Unternehmen vermittelt. Parallel dazu hat die Personalberatung entsprechende klassische Stellenzeigen geschaltet. Zudem muss man wissen, dass früher Personalberater*innen nur zur Vermittlung von Bewerber*innen auf der oberen Führungsebene eingesetzt wurden: Vorstand, Geschäftsführung und vielleicht noch die Direktoren-Ebene. Fachkräfte, Spezialist*innen, digital-affine Arbeitnehmer*innen und Führungskräfte im unteren Management waren damals, so vor 10 – 15 Jahren, nicht Gegenstand eines Headhunting-Prozesses. Denn die Unternehmen fanden ohne Probleme ihre Mitarbeitenden über Stellenanzeigen. Das hat sich enorm verändert!
Die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt stellt sich also komplett anders dar?
Annette: Ja, aufgrund des Fachkräftemangels wird gegenwärtig die Unterstützung von Personalberatungen auf allen Unternehmensebenen benötigt. Das „schwarze Notizbuch“ hat ausgedient. Heute sind die Personalberatungen erfolgreich, die verschiedene – vor allem digitale – Kommunikationswege beherrschen. Heutzutage sollte man als Personalberatung über eine umfassende und detaillierte Bewerberdatenbank verfügen und zur Gewinnung von Kandidat*innen auf digitalen Talentplattformen wie beispielsweise Xing und LinkedIn aktiv sein. Wir betreiben Active Sourcing, die zielgerichtete, proaktive Recherche, Ansprache und Rekrutierung potenzieller Mitarbeitenden. Nach der ersten – meist digitalen – Kontaktaufnahme telefonieren wir mit den Kandidat*innen und laden sie zum persönlichen Bewerbungsgespräch ein – entweder zunächst bei uns in der Beratung und später beim Kunden, oder per Video Call. Das sind unsere klassischen Aufgaben. Darüber hinaus muss eine moderne Personalberatung auch über genügend Know-how in Marketing und Kommunikation verfügen. Nicht nur die Ansprache der Kandidat*innen erfolgt auf digitalem Wege, auch die eigene Präsentation und Vermarktung findet über Homepage, Blog und in den sozialen Medien statt. Alle Kanäle müssen zielgruppengerecht geführt werden. Auch Medienarbeit und Sponsorships gehören zu unseren Vermarktungsinstrumenten.
In vielen Branchen versiert und das gewisse Fingerspitzengfühl
Das heißt, der Beruf der Personalberaterin bzw. des Personalberaters hat viel mehr Facetten bekommen?
Annette: Ja, wir müssen viel stärker als früher über den Tellerrand hinausschauen. Eine moderne Personalberatung kennt sich in verschiedenen Branchen aus und weiß Synergien zu nutzen. Wir suchen beispielsweise Kandidat*innen mit digitalen Fähigkeiten nicht nur in der Branche, in der unser Auftraggeber zu Hause ist, sondern in verschiedenen Branchen mit ähnlichen Prämissen. Denn im Vordergrund steht die digitale Expertise und nicht das reine Branchenwissen.
Hat der psychologische Aspekt des Berufs an Bedeutung gewonnen?
Annette: Auf jeden Fall. Dieses psychologische Know-how erkennen zu können, ob sich jemand für die ausgeschrieben Stelle eignet – egal aus welcher Branche sie oder er kommt – ist das A & O einer modernen Personalberatung. Psychologie und Personaldiagnostik sind wesentliche Elemente unserer Arbeit. Hier bilden wir uns auch regelmäßig weiter. Erst kürzlich waren meine Mitarbeiterinnen auf einem mehrtätigen Workshop zum Thema Personaldiagnostik – für uns ein wichtiges Verfahren zur Auswahl und Platzierung von Bewerber*innen.
Dauert der Recruitingprozess – und damit auch der Auswahlprozess – heutzutage länger als früher?
Annette: Auch das hat sich entscheidend verändert. Früher konnte man eine Stelle im Durchschnitt innerhalb von zwei bis drei Monaten besetzen. Jetzt dauert der Prozess oftmals drei bis sechs Monate, manchmal sogar länger. An dieser Stelle spürt man den Fachkräftemangel ganz deutlich. Und wer behauptet, dass er solche Positionen kurzfristig besetzen kann, sagt nicht die Wahrheit oder achtet nicht auf Passgenauigkeit bei der Besetzung. Sorry, die Realität sieht leider anders aus. Die Zeiträume werden immer länger.

Ohne Reverse Recruiting keine Chance
Ein Trend, der sicher noch an Fahrt gewinnen wird, ist das Reverse Recruiting. Also immer mehr Unternehmen bewerben sich bei potenziellen Kandidat*innen und nicht umgekehrt. Wie siehst du die Entwicklung?
Annette: Diese Entwicklung wird aufgrund des akuten Fachkräftemangels auf jeden Fall noch zunehmen. Wer das nicht verinnerlicht, bleibt auf der Strecke. Schon jetzt präsentieren Arbeitgeber auf ihren Websites und Social-Media-Kanälen verstärkt ihre Benefits und Besonderheiten, wie zum Beispiel verschiedene Arbeitsmodelle, um neue Mitarbeitende anzuziehen. So sind auf den Karriereseiten der Unternehmen schon lange nicht mehr nur Stellenanzeigen zu finden, sondern jede Menge Informationen über das Unternehmen, seine Organisation und Prozesse. Ich glaube, dass bereits viele Arbeitgeber den Sinn von Reverse Recruiting verstanden haben – und es wird noch zunehmen. Ich kann mir vorstellen, dass es in Zukunft noch mehr Plattformen geben wird, auf denen sich Unternehmen umfangreich darstellen werden.
Apropos Benefits: Sollten Unternehmen ihre Leistungen noch stärker nach außen kommunizieren?
Annette: Das wäre wünschenswert. Es müssen ja nicht nur monetäre Benefits sein. Gerade die immateriellen Leistungen kommen bei den Arbeitnehmer*innen gut an, wie wir in unserem letzten Blogbeitrag „Zeigen Sie Ihre Benefits“ dargelegt haben. Es ist wichtig, regelmäßig die Besonderheiten und Benefits im Unternehmen zu überprüfen und sich die Fragen zu stellen: Passen sie noch zu meinen Mitarbeitenden? Welche Benefits sind aktuell sehr gefragt? Die Kommunikation dieser Leistungen sollte im Übrigen über alle dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Kanäle erfolgen und nicht nur über die Stellenanzeigen.
Als Personalberaterin gehe ich folgendermaßen vor: In meinen Einzelgesprächen versuche ich herauszufinden, auf welche Benefits die Bewerberin oder der Bewerber Wert legt, um dann ein passendes Angebot aus dem Leistungsportfolio zu unterbreiten. Wenn eine Person nicht an einer Betriebsrente interessiert ist, sondern eher an flexiblen Arbeitszeiten, brauche ich nicht über Altersvorsorge zu sprechen. Stattdessen liste ich ihr oder ihm die unterschiedlichen Arbeitszeitmodelle auf. Diese Vorgehensweise rate ich auch den Unternehmen. Damit meine ich, Unternehmen sollten zum einen ihre Stellenanzeigen stärker auf die Zielgruppe abstimmen und dort nur die Benefits nennen, die für die potenziellen Kandidat*innen interessant sind. Alle anderen Leistungen können in den anschließenden Interviews erwähnt werden. Zum anderen sollten sich Unternehmen stärker Gedanken über den Content ihrer Stellenanzeigen machen. Was sollte als erstes genannt werden? Die Anforderungen, die Aufgaben oder die Benefits? Was will die Zielgruppe?

Ein Blick in die Zukunft
Wie geht es weiter? Wie sieht Personalberatung in der Zukunft aus? KI-gesteuert?
Annette: Was sich sicherlich immer weiter automatisieren wird, ist grundsätzlich der ganze Bewerbungsprozess. Er wird zukünftig noch digitaler werden. In Zukunft wird es kaum noch Menschen geben, die nicht irgendwo im Netz erfasst sind. Das heißt, Ansprache und Marketing werden komplett digital sein. Was ich mir auch vorstellen könnte, ist, dass in größeren Personalabteilungen eventuell auch die KI eingesetzt wird, um eine Vorauswahl zu treffen. Das heißt, die KI entscheidet dann, welche Bewerber*innen zum Gespräch eingeladen werden.
Siehst du das kritisch?
Annette: Ja, denn die KI kann nur die Daten auswerten, mit denen sie gefüttert wurde. Das sind Keywords aus den Bewerbungen und Lebensläufen – und sicher auch Bewegtbildmaterial. Denn zukünftig werden sich noch mehr Menschen per Video bewerben. Aber die KI kann eben nicht zwischen den Zeilen lesen und Kombinationen aus Soft Skills, Hard Facts und Auftreten herstellen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass eine KI gewisse „Schwingungen“ in einer Bewerbung „heraushören“ oder zwischen den Zeilen lesen kann. Zudem ist das „Füttern“ keineswegs ein objektiver Prozess, denn auch die Person, die die KI füttert, trifft eine subjektive Auswahl der Daten. Ich bin überzeugt, dass jemand, der Erfahrung im Umgang mit Menschen und Persönlichkeitsdiagnostik hat, der KI immer noch klar überlegen ist. Das wird auch noch in der nahen Zukunft so sein.
„Eine moderne Personalberatung kennt sich in verschiedenen Branchen aus und weiß Synergien zu nutzen.“
Annette Wodzak-Littig, seit 15 Jahren Inhaberin der Wodzak.Littig Personalberatung
Wir unterstützen Sie gerne!
Als moderne Personalberatung helfen wir Ihnen gerne in Ihrer Personalsuche.
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Yvonne Wodzak
Seit mehr als 20 Jahren bin ich als Redakteurin und Führungskraft vor allem im Medienbereich tätig. Daher bringe ich Schnittstellenwissen zu Marketing und Personal mit. Dieses Wissen gebe ich in meinen Beiträgen weiter. Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie mir doch hier oder über eines meiner Social Media Profile!